Still Psycho

„Still Psycho“ ist der etwas kryptisch anmutende Titel der ersten einer Reihe gemeinsamer Ausstellungen der Künstlerinnen Gabriele Fulterer und Christine Scherrer, welche die beiden unter anderem für die Räumlichkeiten der Galerie Eboran zusammengestellt haben. Aus dem Fundus ihrer Werke, die auf den ersten Blick kaum Gemeinsamkeiten aufweisen, haben die beiden Künstlerinnen Arbeiten gewählt, die – im engeren wie im weiteren Sinne – mit psychischen Zuständen zu tun haben: Sie zeigen und verarbeiten diese, eigene wie fremde. Psychische Zustände – das sind unter anderem Angst, Hysterie, Einsamkeit, geistige wie körperliche Schwächen, meint aber auch eine Auseinandersetzung mit der Identität, der Sexualität und dem eigenen Geschlecht. Der Titel der Ausstellung versteht sich nicht als Ausrufung, sondern als umgangssprachliche Feststellung beziehungsweise Hinterfragung eines Ist-Zustandes: „still psycho?“.

In Zeiten von verordnetem Gesundheitsbewusstsein, Wellnesswahn oder der öffentlichen Auseinandersetzung mit den Folgen von Essstörungen setzt eine künstlerische Beschäftigung mit dem menschlichen Körper ebenso wie mit der menschlichen Seele ein, die an die Auswirkungen der wissenschaftlichen Untersuchungen von Zusammenhängen zwischen Physis und Psyche der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert auf den Expressionismus erinnert. Erst vor einem Jahr untersuchte ein Symposion am Kunsthaus Graz psychoanalytische Perspektiven der Kunst, wobei sich der Beitrag von Penny Florence explizit mit der „Differenzierung des Zeitalters des Ichs“ auseinandersetzte.

Gabriele Fulterer und Christine Scherrer haben sich in Ihren Werken ebenfalls der intensiven Beschäftigung und Introspektion der menschlichen Psyche verschrieben und durchforschten für die Ausstellung gegenseitig ihre Werke auf der Suche nach Gemeinsamkeiten, Verknüpfungspunkten. Sie schaffen hier kein singuläres gemeinsames Werk, sondern einen fusionierten Werkkomplex, der es schafft eine Reihe von Facetten des Themas aufzuzeigen, mögliche Herangehensweisen vorzuschlagen und den Betrachter – nicht ohne ein gewisses Unbehangen – sich selbst zu überlassen.

Sie beschränken sich bewusst auf drei Medien: Malerei, Zeichnung und Skulptur. Während die Malerei den Menschen in das Bildzentrum rückt, arbeitet die Skulptur mit Versatzstücken des menschlichen Körpers und haptisch aussagekräftigen und symbolträchtigen Materialien. Zeitlich markieren beide Künstlerinnen mit Werken unterschiedliche Stadien und Arbeitsphasen und ermöglichen so auf relativ engem Raum die Rekonstruktion ihrer persönlichen, künstlerischen Entwicklung.

Am evidentesten ist das in der fulminanten Entwicklung der malerischen Arbeiten nachvollziehbar: von einer fast brav wirkenden, akribisch an die altmeisterliche Technik angelehnten zu einer äußerst expressiven, schnellen Arbeitsweise. Während zuerst jeder Fleck der Leinwand bis ins letzte Detail fein säuberlich ausgemalt ist, die eigene Erscheinung mit weißen Lasuren übermalt weich und sanft, schüchtern, fast zerbrechlich wirkt, strotzt das jüngste Selbstportrait nur so vor Kraft und ungebändigter Energie. Die eigene Figur scheint in einer klaustrophoben Situation wie eingepfercht aus der Limitierung der Leinwand, aus kaum sichtbaren Barrieren ausbrechen zu wollen. Der unbehandelte Malgrund tritt an vielen Stellen hervor, scheint aber durch die weiße Höhung und Übermalung der gesamten Bildfläche wie ein undefinierter Raum nach hinten zutreten, um gerade mal genug Platz für das künstlerische alter ego zu lassen, welches sich mit aller Kraft und mit Händen und Füßen gegen die angedeutete gläserne Absperrung zum Raum des Betrachters hin presst und uns diese entgegenzusprengen wünscht. Was in ihm vorgeht, welche Grenzen und Einschränkungen es sind, denen sie lautstark und kraftvoll entgegensetzt, bleibt unseren eigenen Köpfen vorbehalten. Der direkte Blick fordert uns sogar unmittelbar dazu auf, sich damit auseinander zusetzen.

Ungleich subtiler, aber nicht weniger intensiv interagieren die Zeichnungen und Objekte mit unserer Perzeption von Angst, Isolation und Sexualität. Die Zeichnungen – speziell jene im vorderen Raum – zeigen in sich gekehrte, anonymisierte, androgyne Personen, die sich abzuschotten wünschen, ihre Gliedmaßen scheinbar ineinander verknoten um möglichst klein, möglichst unsichtbar zu wirken. Obschon der schmale, immer wieder ab- und einsetzende Strich sie nur dürftig umrahmt, genügt er, um Figur und Befindlichkeit in einem darzustellen. Man möchte diese Persönchen trösten, umarmen, hätten sie nicht eine weiße Umrahmung, einen Rand, der sie wie eine schützende Hülle umgibt und einem Kokon ähnlich im Raum schweben lässt. Sie erschaffen sich ihre eigene Welt und wollen niemanden an ihrem Leid teilhaben lassen, ihr Inneres ebenso wenig wie ihre Identität preisgeben. Das „Noli me tangere“ einer verängstigten, möglicherweise missbrauchten Person steht im Gegensatz zur Frauenfigur der Wandzeichnung, die sich und ihre Scham zu öffnen beginnt, im Begriff ist die Beine der über ihr befindlichen Person loszulassen, sich fallen zu lassen.

Eine assoziative Arbeitsweise ist deutlich erkennbar, ebenso wie ein performativer Charakter, obschon die Künstlerinnen Performances für sich selbst völlig ablehnen.

Ein aus eigenhändig gedrehten Eisenringen geknüpftes Kettenfeld liegt schwer und in sich versunken auf dem Boden, scheint Relikt einer Performance zu sein. In ihrer Verschlingung und Beweglichkeit wirken die Eisenringe fast organisch. Die Schwere der Last ist unverkenntlich, Symbol der Zerstörung eines Käfigs einer Einschränkung, wie es auch Monica Bonvicini immer wieder verwendet.

Expliziter beziehen sich die Objekte aus Epoxydharz und Silikon auf Sexualität, primäre Sexualorgane, erogene Zonen. Sie erinnern an Arbeiten von Louise Bourgeois: Ohren als akustische Sinnesorgane, Schamlippen extrahiert vom restlichen Körper sind wie Versatzstücke in den Räumen verteilt – eingesperrt in Plastikbeutel, aneinandergekettet in der Toilette der ehemaligen Polizeistation. Sie präsentieren sich bar jeden Gefühls, jeder Zugehörigkeit zu einer bestimmten Person, wie Beweisstücke, gefangen in den ihnen zugewiesenen Rollen. Und steigern sich in einem aus vier am Hals zusammengewachsenen Köpfen bestehenden Wandobjekt zu einem Sinnbild für Beziehung – nicht eine menschliche, sondern die Beziehung zwischen Intellekt und Gefühl, Kopf und Körper, Geist und Sexualität.

Tina Teufel (Museum der Moderne Salzburg) 2007

 

 

Presse:
„Still psycho“

Beim Projekt „still psycho“ handelt es sich um eine Zusammenarbeit der Künstlerinnen Gabriele Fulterer und Christine Scherrer, wobei dem Thema entsprechend individuelle Arbeiten sowie gemeinsame Arbeiten präsentiert werden. Jede Ausstellung wird nach den vorgegebenen Räumlichkeiten neu konzipiert, Ziel ist es hier, die lokalen Gegebenheiten wie Raumatmosphäre, historische Bezüge und Raumproportionen in die Entwicklung der neuen Arbeiten einfließen zu lassen. Im idealen Fall präsentiert sich die Ausstellung als Rauminstallation, die sowohl inhaltlich als auch formal eine Einheit bildet.

Inhaltlich setzen sich beide Künstlerinnen intensiv mit Grenzüberschreitungen im Bereich Identität, Sexualität und Geschlecht auseinander. Im Zentrum der Arbeit stehen nicht aktive Aggression, Depression und Gewalt , sondern vielmehr individuelle Reaktionen wie Hysterie, Isolation und Autoaggression. Der der Umgangssprache entlehnte Begriff „psycho“ dient hier als Leitfaden und steht für physisches und psychisches Unbehagen – Schmerz -Verletzung. Die ursprüngliche Bedeutung des Wortes wird durch den körperlichen Aspekt erweitert, da psychisches und physisches Unbehagen als in Wechselwirkung zueinander stehend begriffen werden.

„Still“ weist auf die Aktualität der Problematik hin und meint vor allem, dass trotz intensiver gesellschaftspolitischer Veränderungen seit den siebziger Jahren nach wie vor sehr enge patriarchale Ideologien die psychische und physische Entwicklung von Frauen und Männern normieren.

Den individuellen künstlerischen Schwerpunkten entsprechend werden die Medien Malerei, Skulptur, Zeichnung, Tapisserie sowie Reproduktionen, Segmente und Versatzstücke der Arbeiten zu einer Rauminstallation kombiniert, montiert, projiziert. Sowohl ein intermedialer Rückgriff auf Vorhandenes, als auch eine völlig neue raumintegrative Inszenierung sind dabei möglich.

Gabriele Fulterer / Christine Scherrer, 2007

 

Press release:
„still psycho“

The art project „still psycho“ – a co-operative work of the artists Gabriele Fulterer and Christine Scherrer – aims to present both their individual works of art and co–productions centred, as the title suggests, around the topic „psycho“.

Every exibithion is designed individually in concordance with the premises, which means that the artists try to adapt their new artworks to the given situations, such as the room´s atmosphere and dimension as well as to its historical relations. Ideally the exhibition will be a space installation forming an integrated whole regarding content and form.

In their work both artists deal with the crossing of boundaries within the area of identity,sexuality and gender. It is not active aggression, depression or violence, which forms the focus of their artistic work, but rather individual reactions such as hysteria, isolation and autoaggression. The word „psycho“ borrowed from everyday`s language use, forms the main connecting theme and refers to physical and mental uneasiness and pain. Physical and mental discomfort being seen as interdependent by the artists, the second part of the title „still“ points out its relevance to the present–day situation, since the patriarchal ideology still has a great impact on the physical and mental state of woman and men alike, despite the socio-political changes that have taken part since the 1970s.

According to the artists`focuses, the whole range of media – from painting, sculptures,drawings, tapestries to reproductions and segments of their works – will be combinded and installed, whereat recourses as well as brand new productions are possible.

Gabriele Fulterer / Christine Scherrer, 2007